Gebührenboykott - Informationen zum Kampf für Gebührenfreiheit an der Universität Hamburg

Till Petersen

Fachschaftsrätekonferenz

Folgendes Zitat fanden wir vor etwa zwei Jahren auf einem Plakat: „Ist es nicht ungerecht, dass ein Kfz-Mechaniker einem Rechtsanwalt das Studium bezahlt, und das, obwohl der Rechtsanwalt später im Berufsleben von seiner Ausbildung finanziell profitiert, genau wie Ärzte, Ingenieure, Manager und, und, und? Ihr Einkommensvorteil wird von allen Steuerzahlern mit und ohne Studium finanziert. Diese Ungerechtigkeit kann durch Studiengebühren und sozial ausgewogene Bildungskredite beseitigt werden.“ Das ist eine Argumentation, die wir inzwischen auch bei Herrn Dräger finden, der muss das Plakat auch irgendwann gelesen haben. Dies Zitat finden wir auf den Plakaten der ‚Initiative neue soziale Marktwirtschaft’. Das klingt erst mal ganz freundlich, ist aber nichts anderes als der Zusammenschluss aller bundesdeutschen Metallarbeitgeber. Insofern ist auch klar, warum die auf den Kfz-Mechaniker kommen. Das ist nämlich derjenige, von dem diese Metallarbeitgeber profitieren ebenso wie von Rechtsanwälten und allerlei anderen. Es geht hier also um eine Umdrehung, nämlich den Studierenden als einen sozialen Schmarotzer darzustellen. Ich meine, diese Umdrehung von realen sozialen Problemen, sozialen Widersprüchen, an drei Punkten festmachen zu können.

Erstens wird mit diesem Gesetz, wie auch speziell mit diesem Darlehens- und Zinsmodell, eine Umkehrung gemacht, nämlich: Die Studierenden sollen sich doch endlich an den Kosten dessen beteiligen, woran sie sich dann bereichern können. Und wir haben vorhin schon gehört, im Prinzip ist dies Darlehenssystem ja nichts anderes als eine nachgelagerte Akademikersteuer. Sie zeichnet sich nur dadurch aus, dass, wer sehr viel Geld hat, von der Steuer befreit ist, weil er sofort zahlen kann und nicht die Zinsen zahlen muss. Und je mehr jemand verdient, desto weniger Zinsen muss er bezahlen. Das heißt, wir haben hier einen antiprogressiven Steuersatz bei einer Akademikersteuer. Insofern komme ich auf die Frage, und die sollte der Wissenschaftsausschuss, der hier gerade sehr aufmerksam zu sein scheint und miteinander tuschelt, (Beifall aus dem Publikum) das sollte der Wissenschaftsausschuss auf einer seiner nächsten Sitzungen mal beraten, was eigentlich das sozial gerechte an einem Finanzierungssystem ist, in dem gilt, je weniger ein Mensch hat, desto mehr muss er zahlen. (Beifall aus dem Publikum) In dem Zusammenhang will ich noch auf einen Extrapunkt kommen - ich komme gleich auf die Umdrehung zurück - weil er im Wissenschaftsausschuss auch schon sehr diskutiert worden ist. Was die soziale Selektivität betrifft, an dem Punkt war ich ja gerade, wurde der Befürchtung Ausdruck gegeben, dass doch, wenn die Universitäten für die Ausfallbürgschaft stehen, sie vor allen Dingen auch finanzkräftige Studierende reinholen. Und da wird argumentiert, dass die Universitäten ja über die Finanzkraft der Studierenden nichts wissen. Ich will in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass Sie vor kurzem in Ihrem Ausschuss auch schon ein neues Zulassungsgesetz beschlossen haben, wo drin steht, dass die Studierenden ausführlich über sich selbst Auskunft geben müssen, über ihre Biographie, ihre Motivation und dergleichen, sodass man bei den zukünftigen Zulassungen selbstverständlich die Möglichkeit hat, genau zu gucken, was eigentlich der soziale Hintergrund eines Studierenden ist. Auch das sollten Sie berücksichtigen. (Beifall aus dem Publikum) Ich will aber zurückkommen zur Frage der Umdrehung. Ganz wesentlich wird ja mit Einkommensunterschieden argumentiert, beispielsweise zwischen einem Kfz-Mechaniker und einem Anwalt, also Akademikern und Nichtakademikern. Und ich habe mir nun diese Zahlen angeguckt, die Herr Dräger da mal rausgesucht hat, wie die neun Prozent mehr Duchschnittverdienst. Die beruhen auf einem ganz simplen Zusammenhang: Die Akademiker verdienen deswegen im Schnitt leicht mehr, weil bei denen zurzeit noch die Arbeitslosenquote niedriger
ist. Da gibt es andere Studien, die das nämlich rausrechnen. Das heißt aber, die Legitimierung für das Studienfinanzierungsgesetz rührt allein daher, dass es eine Massenarbeitslosigkeit gibt, also insbesondere bei Nichtakademikern deutlich über zwölf Prozent. Man holt sich also die Legitimität aus einem Zusammenhang, der eigentlich nicht eine Legitimation sein sollte, sondern dringend bekämpft werden sollte, nämlich das Vorhandensein von Massenarbeitslosigkeit. Das ist zumindest postuliertes Ziel aller Bürgerschaftsparteien. (Beifall aus dem Publikum) Und wer das ernst meint, der kann das nicht als Argument für die Studiengebühren anführen. Der Hauptpunkt ist aber eine ganz andere Umdrehung. Die Umdrehung nämlich, dass irgendwie die Frage gestellt wird, ob es jetzt sozial gerecht ist gegenüber dem Studierenden, dem Akademiker oder dem Kfz-Mechaniker. Und wird hier völlig außer Acht gelassen, wer eigentlich in dieser Gesellschaft wesentlich von Wissenschaft und Bildung profitiert. Das sind nämlich die Leute, die diese Anzeige geschaltet haben. Das sind beispielsweise die Metallarbeitgeber, wie Mercedes, DASA hier in Hamburg, wie Blohm und Voss und so. Diese profitieren wesentlich vom wissenschaftlichen und technischen Fortschritt. Und dafür müssen dann auch diese eine Form von Steuern zahlen und nicht die Studierenden. Hier findet die entscheidende Umkehrung statt, weil hier die Einkommensunterschiede keine neun Prozent ausmachen, sondern hier liegen die Unterschiede im 1000-Prozent-Bereich zwischen denjenigen, die die Produktionsmittel besitzen und denjenigen, die für die Ausbeutung ausgebildet werden sollen. (Beifall aus dem Publikum) Insofern meine ich, haben die Studiengebühren neben dem, was wir jetzt schon zur sozialen Selektivität gehört haben, zur Lenkungsfunktion auch eine ideologische Tradition, nämlich den Studierenden den Eindruck zu vermitteln, sie seien Schmarotzer und haben dem durch zweierlei entgegenzuwirken. Erstens dadurch, dass sie zukünftig dafür bezahlen, wovon im Wesentlichen andere profitieren. Und zweitens, dass sie ganz brav und diszipliniert in ihrem Studium ihr Individualinteresse verfolgen und sich so aufführen, dass sie sich möglichst gut später verkaufen können und so der Gesellschaft etwas zurückgeben. Der Gesellschaft etwas zurückgeben tut man nicht, indem man sich den Metallarbeitgeber unterordnet, die ja wie gesagt die Autoren dieser Argumentationslinie sind, und die ja ganz wesentlich ihre Profite aus Rüstungsindustrie realisieren. So gibt es beispielsweise auch den Zusammenhang, dass, wie ich meine, Gebühren auch damit zusammenhängen, dass die Wissenschaft unfriedlicher wird. So gibt es auch einen gegenteiligen Zusammenhang, den die UN bereits 1973 entwickelt hat. Da heißt es in Artikel 13 im von den Vereinten Nationen 1966 geschlossenen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte: „1. Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf Bildung an. Sie stimmen überein, dass die Bildung auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und des Bewusstseins ihrer Würde gerichtet sein und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten stärken muss. Sie stimmen ferner überein, dass die Bildung es jedermann ermöglichen muss, eine nützliche Rolle in einer freien Gesellschaft zu spielen, dass sie Verständnis, Toleranz und Freundschaft unter allen Völkern, allen rassischen, ethnischen und religiösen Gruppen fördern sowie die Tätigkeit der Vereinten Nation zur Erhaltung des Friedens unterstützen muss. Die Vertragsstaaten erkennen an, dass im Hinblick auf die volle Verwirklichung dieses Rechts, Punkt c), der Hochschulunterricht auf jede geeignete Weise insbesondere durch die allmähliche Einführung der Unentgeltlichkeit jedermann gleichermaßen entsprechend seinen Fähigkeiten zugänglich gemacht werden muss.“ (Beifall aus dem Publikum) Hier gibt es also einen von den Vereinten Nationen hergestellten Zusammenhang zwischen der Unentgeltlichkeit der Bildung und Wissenschaft und ihrer allgemeinen humanen Nützlichkeit. Die besteht eben nicht darin, dass jene einzelnen Rüstungsunternehmen dient, sondern darin, dass, befreit von dem ökonomischen Druck beispielsweise der Entgeltlichkeit, die Bildungssubjekte die Möglichkeit haben, sich mit gesellschaftlichen Problemen auseinanderzusetzen. Also mit ihren eigenen Einschränkungen, und Kriege sind ja beispielsweise solche, mit der Perspektive, wie man aus der Wissenschaft allgemein nützlich dazu beitragen kann, dass es so etwas wie friedliche Entwicklung weltweit gibt, was man nicht dadurch tut, dass man Rüstungen fördert. Dafür ist die Entgeltfreiheit notwendig, um diese Muße in der Wissenschaft zu haben. Insofern meine ich, bilden Gebührenfreiheit und die allgemeine Humannützlichkeit von Bildung eine sehr enge Einheit. Insofern meine ich, gilt auch für einen Hamburger Senat, und mal ganz ab davon für die Bürgerschaft, dass man sich doch einem UN-Papier, das man unterzeichnet hat, verpflichtet fühlen sollte. Und ich bitte Sie auch im Ausschuss mal zu diskutieren, wie Sie eigentlich dieses Gesetz im Verhältnis setzen zu dem UN-Beschluss. Darüber hinaus sollten Sie ja auch der Landesverfassung verpflichtet sein, wo es heißt: „Jedermann hat die sittliche Pflicht, für das Wohl des Ganzen zu wirken.“ So heißt es in der Präambel der Landesverfassung. (Beifall aus dem Publikum) Und das Wohl des Ganzen ist die Entgeltfreiheit des Studiums, damit man die Muße hat, eine Wissenschaft zu realisieren, die allen nützt und nicht nur einigen wenigen. (Beifall aus dem Publikum)


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http://www.gebuehrenboykott.de/artikel_39.html [Stand 15. Mai 2006]