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- Studiengebühren sind dekultivierend
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- Studiengebühren sind anti-demokratisch...
- Studiengebühren sind sozial ungerecht...
- FSRK Broschüre: "Für Gebührenfreiheit"
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‚Sag mir wo du stehst‘
Eingetragen von jochen.rasch. | Sa, 2006-01-14 22:09
oder wie radikal sind Studiengebühren?
Studiengebühren helfen, die Warenförmigkeit von Bildung zu verstärken. Dies erkannte bereits in den 50er Jahren der Ökonom Milton Friedmann, Vordenker der monetaristischen Schule des Neoliberalismus. Friedmann postulierte die Ineffizienz staatlicher Bildungseinrichtungen und forderte ein Bildungssystem bei dem die Bildungseinrichtungen und ihre Subjekte auf einem ‚freien Markt‘ miteinander konkurrieren sollten. Zur Durchsetzung dieses Konzeptes schien ihm ein Gutschein- System geeignet, welches er für das Schulwesen vorschlug. Lernende aus finanziell schlechter gestellten Schichten erhalten ein bestimmtes Kontingent an Bildungsgutscheinen um deren Minimalversorgung zu sichern. Diese Gutscheine können dann bei privaten oder öffentlichen Bildungsträgern eingelöst werden. Wobei es Privatschulen freilich zusteht auch höhere Gebühren zu verlangen und die Gutscheine als Teilzahlungen anzunehmen. Parallelen zu gegenwärtig in der BRD diskutierten Studiengebührenmodellen sind offensichtlich – der verfolgte Zweck ist der selbe.
Der „Erfolg“ des neoliberalen Modells am Beispiel Chiles…
Erstmalig durchgeführt wurde dieses Modell in Chile in den frühen 80er Jahren. Ort und Zeit dürften dabei kein Zufall gewesen sein:
Am 11.9.1973 fand in Chile unter Augusto Pinochet ein Militärputsch statt, der die gewählte sozialistische Regierung der Unidad Popular unter Salvador Allende stürzte. Diese hatte ein Programm zur Verstaatlichung wichtiger Schlüsselindustrien aufgelegt. Privatunternehmen und Banken wurden enteignet und eine weitreichende Landreform in Angriff genommen. Das allgemeine Lohnniveau wurde erhöht, die Kosten für Miete und allgemeine Bedarfsmittel eingefroren. Die Arbeitslosigkeit sank unter Allendes Amtszeit von 8,8% bei seinem Amtsantritt 1970 auf 3,7% 1973 im Jahr des Putsches. Ein umfangreiches Bildungs- und Alphabetisierungsprogramm stärkte die Bevölkerung in der bewußten Wahrnehmung der eigenen Interessen.
Diese wirtschaftspolitischen Maßnahmen führten jedoch zu erheblichem Mißmut auf Seiten der Großkonzerne, die mit einem Boykott und dem Rückzug ihres Kapitals aus Chile durch einen „Streik“ der Transportunternehmer eine Krise produzierten. Verschärft wurde die Krise zusätzlich durch einen Wirtschaftsembargo der USA. Diese Lage wurde schließlich durch Militär, Kapital und reaktionäre Kreise des Mittelstands genutzt, um mit Unterstützung der CIA erfolgreich gegen die sozialistisch ausgerichtete Regierung zu putschen.
Was folgte, war eine Militärdiktatur, die bis 1989 andauerte. Gewerkschaften wurden verboten, Anhänger der Unidad Popular, andere Oppositionelle oder auch Personen, die nur im Verdacht standen dies zu sein, wurden zu Tausenden verhaftet, verschleppt, gefoltert und ermordet. Über 30.000 Chilenen wurden unter Pinochet Opfer systematischer Folterungen. Die Hochschulen wurden von den Militärs okkupiert und brutal gleichgeschaltet (sozialwissenschaftliche Fächer wurden z. B. ganz abgeschafft).
Durch Ausschalten einer Opposition war es möglich, Chile zu einem neoliberalen Versuchs- und ‚Muster‘-land umzubauen. Die Konzepte dazu lieferten die "Chicago- Boys", eine Gruppe von Friedmann-Schülern, die als wirtschaftspolitische Berater Pinochets eingesetzt wurden. Die Verstaatlichungen wurden rückgängig gemacht und etliche weitere Maßnahmen zur Liberalisierung der Wirtschaft getroffen. Ausländisches Kapital kehrte umgehend ins Land zurück, das wirtschaftliche Wachstum lag in den folgenden Dekaden bei drei Prozent. Was von neoliberaler Seite als wirtschaftlicher Erfolg gewertet wurde, bedeutete jedoch für die Mehrheit der Menschen sinkende Löhne und mehr als die Verdopplung des Bevölkerungsanteils unter der Armutsgrenze von 20% 1973 auf 44% 1990. Als Charakteristikum für neoliberale Politik wurde die (Re)-Privatisierung jedoch nicht auf den klassischen Bereich der Produktion begrenzt. Auch der Reproduktionsbereich sollte nun als profitables Terrain erschlossen werden, was in erster Linie das Gesundheitswesen und eben den Bildungssektor betraf.
Das Bildungsgutschein-System hatte dabei nicht nur die Funktion der einfachen Kommerzialisierung, sondern wirkte über diese auch hegemoniebildend auf Inhalt und Funktion der Bildung. Sie erhielt nun den Charakter einer individuell zu erwerbenden Ware. Die aufklärerische Perspektive der einstigen Bildungsoffensive sollte so aus dem Lernprozeß eigentätig eliminiert werden, ohne daß weiterhin die Militärjunta unmittelbare Überwachungsarbeit zu leisten hatte.
Das weltweit erstmalig in Chile eingeführte Gutschein-System für Bildungseinrichtungen war somit eine der Liberalisierungsmaßnahmen, maßgeschneidert für den Bildungsmarkt.
… und sein Scheitern
Während Friedmann vollmundig in seinem Plädoyer für Bildungsgutscheine eine Verdopplung der Effizienz von Bildungseinrichtungen versprach, blieben positive Effekte dieser Maßnahme naturgemäß aus. Ein Großteil der Schüler wechselte wie vorgesehen auf private Bildungseinrich- tungen; insgesamt sanken schulische Leistungen und Bildungsstandards. Dabei nahm insbesondere die Schere im Bildungsniveau zwischen Arm und Reich deutlich zu.
So sahen sich auch die Regierungen nach Pinochet gezwungen, wieder insbesondere das Bildungswesen in ärmeren Regionen zu bezuschussen, um wenigstens einen Minimal-Standard zu sichern.
Die neoliberale ‚Perspektive‘ ist also schon in den 80er-Jahren gescheitert. Sie ist im Interesse weniger und mußte deshalb in Chile mit Waffengewalt durchgesetzt werden. Chile zeigt dabei jedoch noch etwas: Im gesellschaftspolitischen Ziel sind sich die Neoliberalen mit der extremen Rechten einig. Es geht um die Durchsetzung des Konkurrenz- und Marktprinzips um jeden Preis. Nur die dauernde Repressionsmaschine eines diktatorischen Staates ist für neoliberale auf Dauer zu ineffizient, besser ist da schon die „freiwillige“ Akzeptanz des angeblich natürlichen Marktprinzips. In jedem Fall ist diese Diktatur des Marktes gerichtet gegen die notwendige Alternative einer planvollen, vernunftgeleiteten und demokratischen Entwicklung.
http://www.refrat.hu-berlin.de/aktion/frame.php3?datei=hintergrund/vouchers
Camoy, Martin: Lessons of Chiles Voucher Reform Movement, nach: a.a.O.
Lohmann, Ingrid: After Neoliberalism. Können nationalstaatliche Bildungssysteme den ‚freien Markt‘ überleben? http://www.nadir.org/nadir/aktuell/2002/05/24/10273.html