Bildung und Humanität (Eine ungehaltene Rede, von Olaf Walther)

Der Vorsitzende des Bürgerschaftsausschusses für Wissenschaft, Wolfgang Beuß (CDU), hat die öffentliche Anhörung am 15.5.’06 zur geplanten Einführung von Studiengebühren unlauter und vorzeitig abgebrochen, da ihm „keine neuen Gesichtspunkte“ mehr vorlägen. Deshalb wird der folgende Beitrag nun schriftlich vorgelegt.

(Herr Beuß sei in diesem Zusammenhang gefragt: Welchen Sitz im Leben hat die CDU?)

„Erfaßt es tief! Laßt euch von mir, den ihr übrigens verstehen mögt oder nicht, wenigstens das Eine sagen und bis nah ans Herz bringen: Denken und Erkennen sind die einzige Art, das Leben zu verbringen, die zuletzt gelohnt hat. Darum verpflichtet sie auch. Ihr habt die Art gewählt, ihr seid verpflichtet, euch einzusetzen für eure Wahrhaftigkeit. Bekennt und handelt! Verständigt euch und seid einig! Menschen, die wahrhaftig sein wollen, heute trennt sie nichts, besonders keine Wirtschaftsdoktrin. Die künftigen Einrichtungen ergeben sich aus den heutigen Tatsachen.“ Heinrich Mann, „Studenten!“, Pariser Tageblatt (Erstdruck), 26. August 1935. Später in der Sammlung: „Es kommt der Tag. Deutsches Lesebuch“, Zürich: Europa-Verlag 1936.

Heinrich Mann, auch er ein durch die Nazis „verbrannter Dichter“, hat angesichts der damals gegenwärtigen menschenfeindlichen Barbarei auf den unbedingten humanitären Gehalt von Bildung und Wissenschaft hingewiesen und gezeigt, welche Verantwortung daraus erwächst. Wissenschaft sei der Wahrheit verpflichtet. Die Wahrheit läßt sich bestimmen als das treffliche Erkennen von Ursachen, Zusammenhängen, Verlaufsformen und möglichen Entwicklungsalternativen natürlicher, gesellschaftlicher und gedanklicher Prozesse.
So verstanden und realisiert, kommen die aktuellen Akteure der Wissenschaften dem Vernunftethos der Aufklärung nahe. Hier lernen sich die Menschen als kulturelle Wesen kennen, die sich und ihre Bedingungen selber schaffen. Insofern besteht auch die Verantwortung der Wissenschaften darin, einen vernünftigen Beitrag zu leisten, die Mühseligkeit der menschlichen Existenz zu erleichtern. Die Entwicklung und Verbreitung von Frieden, sozialer Wohlfahrt, demokratischer Partizipation, geistig und seelisch anregender Kultur sowie lebensfroher Gesundheit kann die Menschheit sicher gut vertragen.
Die Einführung von Studiengebühren steht diesem qualitativ wertvollen Beitrag fundamental entgegen. Da die Lernsubjekte sowie der Lehrbetrieb unter finanziellem Zwang quantitativ normiert werden sollen über Geld (Gebühren, Zinsen - im Verhältnis zur sozial prekären Lage der Studierenden und der chronischen Unterfinanzierung der Hochschulen), Zeit (schnelles Studium bei miserabler Betreuungsrelation) und Leistung (Punkte etc. als Zerhacken der Inhaltlichkeit des Studiums), um den kurzfristigen Markterfordernissen ökonomischer Verwertbarkeit - egal, ob Kakao oder Zündpulver - zu genügen, bleiben unter dieser Doktrin die Wahrheitsfindung respektive die Mehrung humanen Nutzens schlicht auf der Strecke.
Nach dieser Maßgabe, die wir weder dulden können noch dulden wollen oder müssen, werden auch Individualität als allgemein nützliche qualifizierte Eigenständigkeit und Kreativität als produktiver Einfallsreichtum für entwickelte Mitmenschlichkeit zerstört. Normierung tötet.
Da diese Maßnahme von der CDU zu verantworten ist, zeigt sich der politische Konservativismus in einer tiefen Krise. Eine Partei mit einer parlamentarischen Mehrheit verstößt gegen die Interessen der Mehrheit.
Das ist dringend zu ändern.
Studiengebühren sind rundum abzulehnen.